Sekundenkleber

Sekundenkleber

Wer einen neuen Parkett hat, für den sind Stuhlfilzli eine gute Erfindung – aber was macht man, wenn sie nicht halten wollen?

Stuhlfilzli und Sekundenkleber. Foto: Daniela Bühler

Zum Abschied nach dem ersten Besuch an der Claridenstrasse flüstert unser alter Freund Sigi mir zu: „Wenn die Stuhlfilzli nicht halten, dann helfe ich einfach mit einem Tröpfchen Sekundenkleber nach.“ Gute Idee, denke ich. Ich will bekanntlich unseren Parkett schonen und hatte es schon mit mehreren Sorten Stuhlfilzli probiert. Sie hielten einfach nicht. Im Heimwerkergeschäft am Kasernenplatz kennt mich der Verkäufer schon und zwinkert mir jeweils zu, wenn ich wieder Nachschub hole von den Roten. Von denen, die „garantiert halten“, wie er behauptet hat. Ich hole häufig Nachschub, denn an unseren Stühlen halten auch die nicht. „Sie müssen sie nur richtig nass machen“, sagt er dann. „Und dann ein bisschen reiben, bis sie kleben. Und dann muss ein bisschen Gewicht drauf. Am besten setzen Sie sich eine halbe Stunde auf den Stuhl.“ Gesagt, getan. Aber als ich meinen Allerwertesten zum ersten Mal sachte auf einen mit vier frischen, feuchten, mit Stuhlfilzli beklebten Stuhl parkierte, spickten sie alle in hohem Bogen unten weg. Ich musste eine andere Lösung finden. Nun setze ich jeweils statt meiner selbst einen Stapel Bücher auf den Stuhlfilzli-Stuhl. Zum Beispiel den grossen Schuber mit dem dtv-Lexikon von 1997 und „The Story of Art“ von E. H. Gombrich. Und noch ein paar andere schwere Wälzer. Aber immer noch musste ich alle zwei Wochen zum Heimwerkerladen.

Also beschloss ich, es mit dem Sekundenkleber zu probieren. Beim nächsten Stuhl gab ich einen winzigen Tropfen zwischen Stuhlfilzli und Stuhlfuss. Es ging alles bestens. Beim zweiten, ein paar Tage später, war ich dann forscher. Ich gab Leim an die richtige Stelle und legte die offene Tube auf den blanken Holztisch in unserer Küche. Plötzlich quoll ein grosser Tropfen Kleber heraus und wollte sich auf den Tisch ergiessen. Ich packte die Tube, es blieb nur ein Spritzer auf dem Tisch, aber Sekundenkleber triefte über alle meine zehn Finger. Ich kämpfte mit einer Leimtube. Als sie endlich zu war, wollte ich meine Hände am Wasserhahnen in der Küche abwaschen. Aber mit Wasser war da nichts mehr zu  machen. Meine Finger waren total verklebt. Also versuchte ich es der Reihe nach mit Putzsprit, Seife, Nagellackentferner und Olivenöl. Erst zwei Stunden später war das Gröbste weg.

Der Fleck auf dem Tisch war schlimmer. Ich meine, es ist kein neuer Tisch – aber trotzdem. Ich habe alles versucht. Schliesslich gelang es mir, den Klebstoff mit der Klinge für den Glaskeramikherd zu entfernen. Aber ich traute mich nicht, richtig radikal zu sein. Ich meine, wenn man nicht mehr sicher weiss, wo der Leim aufhört und wo der Lack des Tisches beginnt, dann sollte man nichts erzwingen. Es ist gehört ja zu meinen frustrierendsten Erfahrungen im Haushalt: Perfektionismus ist etwas Brandgefährliches. Wenn Du zu eifrig putzt, bleiben Kratzer. Und wenn Du das falsche Putzmittel nimmst, geht die Oberfläche kaputt. Ist halt so.

Seither haben wir einen zweifränklergrossen, sehr hellen Schlirgg auf unserem Küchentisch, wie der bleiche Rest eines Kaugummis. Man sieht ihn aber nur bei bestimmtem Licht.

Wieder wollte ich mir die Hände waschen. Erst jetzt merkte ich, dass an unserem spiegelglatten, funkelneuen Wasserhahnen ein rauer Fetzen Sekundenkleber hängen geblieben war. Er klebte felsenfest. Das war der Tiefpunkt. Da fiel mir Mani Matter ein. Mani Matter hat die ganze Zeit Lieder gesungen von Leuten, die das beste wollen, etwas Unscheinbares tun, und dann wird es grösser und grösser und überwältigte erst sie und dann alles. Ich stand da und sah die Welt in Sekundenkleberstarre fallen. Verdammt.

Nach mehreren Versuchen habe ich den Wasserhahnen wieder sauber gebracht. Ohne Kratzer oder andere bleibende Schäden. Wie ich das geschafft habe, wird für immer mein Geheimnis bleiben. Später habe ich, sehr vorsichtig, weitere Stuhlfilzli angeklebt. Die halten mit Sekundenkleber wirklich bedeutend besser. Im Heimwerkerladen vermissen sie mich sicher schon.

18. September 2019
Daniela Bühler