Die modernen Pfahlbauer

Die modernen Pfahlbauer

Kaum war der grosse Abriss vorbei und das orange Abbruch-Monster weg, begann an der Claridenstrasse die Zeit der Pfahlbauer. Seit dem 15. April beherrscht das blaue Monster die Baustelle vor unserem Haus. Die 95 Tonnen schwere Pfahlbohrmaschine der Firma KIBAG bohrt seither baumstammdicke Löcher in den Baugrund und füllt sie mit Beton.

Nachdem das orange Monster weg war, brachte der Tieflader am 15.4. das blaue KIBAG-Monster auf die Baustelle.

Betonpfahl Nr. 143

Das Vorgehen der modernen Pfahlbauer von der Wasser- und Spezialtiefbaufirma KIBAG ist bei jedem Betonpfahl, der in den unstabilen Baugrund gesetzt wird, mehr oder weniger gleich: Bohrstelle exakt ausmessen, Stahlrohr positionieren, vorbohren, Stahlrohr wieder rausziehen, Pfahlboden aus Stahl an die Bohrstelle legen oder ans unter Ende des Stahlrohrs anschweissen, das unten verschlossene Stahlrohr in den Untergrund pressen, zwei ca. 10 Meter lange Armierungseisenkörbe übereinander ins Stahlrohr stellen, Beton reingiessen, Stahlrohr drei, vier Meter rausziehen, nochmals Beton nachgiessen, Stahlrohr rausziehen — und fertig ist der Betonpfahl. Die ganze Prozedur wiederholt sich mehr als 200 Mal und hat etwas Ritualhaftes. Deshalb stellvertretend für alle Betonpfähle, die die zukünftigen ABL-Häuser der zweiten Bauetappe im Himmelrich 3 tragen werden, hier die Entstehungsgeschichte von Betonpfahl 143:

Wasser- und Spezialtiefbau ist eine Spezialität der KIBAG

Am 22.4. bringt sich die 95 Tonnen schwere Pfahlbohrmaschine in die richtige Position für Pfahl Nr. 143.
KIBAG-Mitarbeiter positionieren das Stahlrohr zentimetergenau, bevor es in den Baugrund getrieben wird.
Nach dem Vorbohren zieht das blaue KIBAG-Monster den überdimensionalen Guetslistecher wieder aus dem Boden.
Ohne Plan und minutiös geführtes Pfählungsprotokoll ginge die Übersicht schnell einmal verloren.
Neben dem vorgebohrten Loch liegt der stählerne Pfahlboden für Pfahl Nr. 143 bereit.
Die Bohrmaschine hat das Stahlrohr in den Baugrund gepresst, nur noch das viereckige, obere Ende ist zu sehen.
Die modernen Pfahlbauer versenken das runde Armierungseisen im Stahlrohr, das im Baugrund steckt.
Mit dem mobilen Schweissgerät kürzt der KIBAG-Mitarbeiter das Armierungseisen auf die richtige Länge.
Nachdem der Kran das zweite Armierungseisen übers erste gestülpt hat, schweisst der KIBAG-Mann sie zusammen.
Stahlrohr in den Baugrund gepresst, Armierungseisenkörbe eingefügt — fehlt nur noch der Beton.

Betonnachschub in der Znünipause

Die Logistik der modernen Pfahlbauer ist ein präzises Räderwerk, das in einander greift: Kommt der Betonnachschub zu spät, kann das blaue Monster nicht weiterlochen. Kommt der Betonlastwagen zu früh oder dauert das Abteufen des Stahlrohrs länger als geplant, muss der Betonlieferant Däumchen drehen.

Just in time bringt der orange Betonmischer den Beton für den vorbereiteten Pfahl Nr. 143.
Der Betonmischer leert eine Ladung Beton direkt ins Stahlrohr und füllt dann den Rest in den blauen Betonkübel.
So sieht's aus, wenn der Betonpfahl gegossen ist und das blaue Monster das Stahlrohr wieder aus dem Boden zieht.
Nach getaner Arbeit macht sich das blaue Ungetüm auf den Weg zur nächsten Bohrung.
Pfahl 143 ist noch nicht fertig: Als Spezialpfahl, der aus dem Boden herausragt, bekommt er einen Betonkopf mit Aluhülle.

5 bis 6 Pfähle pro Tag

Das erste Foto dieser Bilderserie zu Pfahl Nr. 143 habe ich um 8:30 Uhr aufgenommen, das letzte um 9:54 Uhr. Wenn es gut läuft, dauert es etwa eineinhalb Stunden, bis ein solcher Betonpfahl gesetzt ist. Mehr als 5 oder 6 Pfähle pro Arbeitstag liegen also nicht drin. Wenn das blaue KIBAG-Monster mit geballter Kraft das Stahlrohr in den Baugrund presst, kann man meist zuschauen, wie das Stahlrohr etwa um 5 bis 10 Zentimeter pro Sekunde im Boden verschwindet — etwa so, wie wenn jemand einen Bleistift umgekehrt in einen Pudding drückt. Die von der Pfahlbohrmaschine ausgelösten Vibrationen bringen das ganze Himmelrich zum Erzittern und die Gläser in unserem Küchenschrank zu Klirren.

Stösst das Stahlrohr der Pfahlbohrmaschine im Untergrund auf eine harte Schicht, dann geht minutenlang gar nichts mehr, die KIBAG-Leute erhöhen den Druck, bringen mit der Spraydose pinkfarbene Striche am Stahlrohr an, um festzustellen, ob es überhaupt noch vorangeht. Im Fall von hartem Widerstand im Untergrund, kann das Setzen eines Betonpfahls schnell einmal eine Stunde länger dauern als im Idealfall.

Noch 60 Pfähle

Ausserdem ist das blaue Monster eine Diva, die öfters mal rumzickt. Muss die Pfahlbohrmaschine repariert werden, was etwa einmal in zwei Wochen passiert, wird der Reparaturservice auf die Baustelle gerufen und dann geht stundenlang gar nichts mehr. Dennoch naht das Ende der Pfahlbauzeit an der Claridenstrasse: Zur Zeit liegen noch etwa 60 unverbaute Pfahlböden zwischen Baugrube und Bahngleisen bereit. Sind das alle, die noch verlocht werden müssen, dauert die Pfahlbauerei — ohne gravierende Zwischenfälle — noch zwei, drei Wochen.

23. Mai 2020
Hansruedi Hitz