Die erste Waschmaschine

Die erste Waschmaschine

«So eine Waschmaschine spickt den Hemden doch die Knöpfe ab», argwöhnten die Hausfrauen, als die ABL 1954 im alten Himmelrich die ersten solchen Höllengeräte installieren wollte. Die Zeiten haben sich geändert. Heute haben wir zum Glück Waschmaschinen im Überfluss.

Carla Luchessa erinnert sich noch gut, wie im alten Himmelrich 3 gewaschen wurde, bevor es Waschmaschinen gab.

«Bis 1953 gab es überhaupt keine Waschmaschinen in unserem Quartier», sagt Carla. «Unsere Mütter wuschen von Hand in Trögen. Die Waschküche war im Estrich. Dort gab es auch so eine Trommel aus Blech, in der die Frauen die Wäsche schwingen konnten.» Das ganze Prozedere nahm viel Zeit in Anspruch. Deshalb mussten alle einen rigorosen Waschplan einhalten. «Wir waren zwölf Parteien pro Haus. Jede hatte drei Waschtage hinter einander, eine Familie konnte also nur alle sechs Wochen waschen.» Der Waschküchenschlüssel wanderte von Hand zu Hand. Die Frauen wachten argwöhnisch über ihn, damit ja nichts ausser Kontrolle geriet. Waschen war auch anstrengend. «Bei uns zu Hause hat es am Waschtag immer Ravioli aus der Büchse zum Zmittag gegeben, so hat die Mutter wenigstens beim Kochen nicht viel Aufwand gehabt.»

Carla ist an der Tödistrasse 13 aufgewachsen. Das Haus wurde 1935 erbaut und 2016 abgerissen. Falls von ihm überhaupt noch etwas übrig ist, liegt es vergraben unter unserem neuen Innenhof. Aber die Erinnerung daran lebt noch, unter anderem in den Geschichten von Carla, die heute an der Bundesstrasse 16 wohnt.

Sie erinnert sich genau. 1954 schickte sich die ABL an, für die Häuser im damaligen Himmelrich Waschmaschinen zu beschaffen. Das war relativ früh. In der Wikipedia heisst es, Waschmaschinen seien erst in den 60er und 70er Jahren in den Industrieländern zum preisgünstigen Standard geworden. Aber im Himmelrich lebten damals laut Carla aufsteigende Beamte, Handwerker und Kaufleute. Sie sollten gut versorgt sein.

Die Hausfrauen hatten jedoch Bedenken. «So eine Waschmaschine spickt den Hemden doch die Knöpfe ab!» hiess es. Also habe die ABL die Hausbewohner befragt, ob sie eine wollten oder nicht. Sieben von zwölf Parteien mussten einverstanden sein, sonst gab es keine. Es war ein alleinstehender Nachbar von Luchessas, der den Frauen im Haus schliesslich ihre Zweifel nahm. «Ich wasche meine Hemden im Waschsalon, in der Waschmaschine, und die Knöpfe halten», versicherte er ihnen.

Bis 1953 gab es überhaupt keine Waschmaschinen in unserem Quartier.

So kamen die nötigen Unterschriften zusammen und die erste Schulthess-Maschine in die Tödistrasse 13. Nun brauchte das Waschen plötzlich sehr viel weniger Zeit. «Und doch blieb der Waschplan genau gleich. Die Frauen gaben den Waschküchenschlüssel einfach nicht schneller weiter. Es war, als fürchteten sie den Zusammenbruch jeglicher Ordnung im Haus, wenn man am Waschplan rüttelte», erinnert sich Carla. Das war nicht nur an der Tödistrasse so. In Tausenden Mietshäusern in der Schweiz wurde kleingeistig an alten Waschplänen festgehalten. Diesen Zuständen widmete der Zürcher Schriftsteller Hugo Lötscher ein spöttisches Essai. Es erschien 1983 in einem Bändchen, das sogar «Der Waschküchenschlüssel» heisst. Er schreibt: «Der Waschküchenschlüssel hat Bedeutung über seine blosse Funktion hinaus, eine Tür zu öffnen; er ist ein Schlüssel für demokratisches Verhalten und ordnungsgerechte Gesinnung.» Er kam zum pessimistischen Schluss: «Wir benutzen die Waschküche wie unsere Demokratie – nicht so sehr als Boden für Freiheiten, dafür umso lieber als Fundament für eine Hausordnung.» Das ist sicher mehr als ein Körnchen Wahrheit dran, und es passt zur gängigen Gesellschaftskritik der achtziger Jahre. Dennoch erlaube ich mir einen Einwand: Als alleinstehender Mann war Lötscher sich explizit zu schade dafür, den Waschküchenschlüssel überhaupt zu benützen. Er hat seine Wäsche immer in die Wäscherei gebracht. Steht so im Text. Was konnte er also wissen über die Welt unserer zur Plackerei in der Mietskaserne verdammten Grossmütter?

Heutzutage sind wir solche Sorgen zum Glück so gut wie los. Viele von uns haben Waschtürme – so dass die beiden Gemeinschaftswaschmaschinen im Keller doch sehr oft frei sind. «Ich finde diese Situation grossartig», sagt Carla.

16. April 2020
Daniela Bühler