Der «Drogenkurier» des Contenti

Der «Drogenkurier» des Contenti

Im Himmelrich ist auch das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung  grosses Thema. Aber was heisst das genau? Und gelingt es? Wir stellen auf unserem Blog einige Frauen und Männer mit Behinderung vor, die in unserem Quartier leben. Erster Gesprächspartner: Hansruedi Zurbuchen, der in einer Contenti-WG an der Claridenstrasse 2 wohnt.

Hansruedi Zurbuchen wohnt in einer Contenti-WG und wünscht sich von uns Nachbar*innen, dass wir ihn etwas öfter grüssen.

Hansruedi Zurbuchen führt mich als erstes ins Centro, den grossen Gemeinschaftsraum der Stiftung Contenti. Hier essen wochentags 20 Bewohner*innen der Einrichtung für Menschen mit Behinderung an der Himmelrichstrasse. Eine grosse Front mit Glastüren geht direkt auf den Innenhof. Wenn das Wetter schön ist, grillieren die Contenti draussen auf dem Hof. „Wohnst Du gerne hier?“ frage ich ihn.

„Ja, sehr“, sagt der 72-Jährige und erwähnt zuerst die Vorzüge seines Zimmers. „Es ist 35 Quadratmeter gross und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ein Bad ganz für mich allein.“ Und wie steht es um den Kontakt mit den Nachbar*innen im Himmelrich? Doch, ganz gut, findet Hansruedi. Einige von ihnen seien schon zu Kaffee und Kuchen eingeladen worden. „Aber viele aus der Nachbarschaft grüssen uns nicht so richtig“, sagt er. Vielleicht haben sie Angst, etwas falsch zu machen, gebe ich zu bedenken. Da schaut er mich mit festem Blick an – wenn er könnte, würde er mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte vor uns klopfen – und sagt: „Macht Euch darüber keine Gedanken. Ihr dürft uns grüssen!“

Aber was ist das für einer, dieser Hansruedi Zurbuchen, der mir als Vertreter der Contenti-Leute, aber auch als präziser und schalkhafter Erzähler seiner eigenen Geschichte gegenübersitzt? Er führt sich mit einer Anekdote ein: In der Stiftung Contenti haben die meisten Bewohner*Innen ein Ämtli. Auch er. „Immer am Donnerstag sammle ich die leeren Medikamentenbehälter aller Bewohner*innen ein und fahre damit in die Apotheke. Dort bekomme ich dann neue, volle Behälter und bringe sie hierher. Deshalb sage ich manchmal: ‚Ich bin der Drogenkurier des Contenti.‘“

Für ihn hat der Weg zur Apotheke erheblich mehr Hindernisse als für Fussgänger*innen. Er kam mit einer cerebralen Parese (CP) zur Welt und bewegt sich im elektrischen Rollstuhl. Vor seinem Kopf hat er eine Vorrichtung, die aussieht, wie ein Mikrofon. Er braucht sie, um das Gefährt mit dem Mund zu steuern, denn auch seine Hände kann er nicht gebrauchen. Türen öffnet er, indem er mit der Nase ein Kästchen mit rot gerahmten Zahlen berührt. „Das Kästchen habe ich erst seit wenigen Jahren. Das hat mir viel Bewegungsfreiheit verschafft.“

Im Unterschied zu den meisten anderen Contenti-Leuten ist er pensioniert. Die anderen arbeiten im Contenti-Bürozentrum an der Gibraltarstrasse. Auch Hansruedi war dort 25 Jahr lang tätig – „von 8 bis 12 Uhr und von 13.30 Uhr bis 17 Uhr“. Er konnte bei den Contenti wohnen bleiben, auch als er in den Ruhestand ging. Jetzt geht er donnerstags bei Vicino an der Claridenstrasse aus und ein. „Oder ich fahre an den Bahnhof, das ist von hier aus ja nicht weit. Dort beobachte ich manchmal stundenlang die Leute.“

Er zeigt mir auch kurz die WG an der Claridenstrasse und sein Zimmer. Hinter dem Bett an der Wand hängen bis in feine Details ausgearbeitete, leuchtende Landschaftsmalereien in Aquarellfarben. „Die sind von meinem Vater, er war Bäcker, ist jetzt aber schon vor Jahren verstorben.“ Hansruedi hat mich aber hergebracht, damit ich eines seiner wichtigsten Besitztümer sehe, einen Stab, den er in den Mund nehmen kann: Er liegt neben dem PC, an dem er, wie er sagt, viele Stunden verbringt. Mit den Fingern in die Tasten hauen kann er nicht, aber mit dem Stab im Mund trifft er die Tasten genau. „Maschinenschreiben habe ich so auf einer elektrischen Schreibmaschine gelernt, 1964/65. Das war damals noch ein Luxus.“

Hansruedi besitzt auch einen ziemlich grossen Fernseh-Bildschirm – warum, das erzählt er Euch vielleicht selbst. Es könnte sich lohnen, ihn und die anderen Contenti zu grüssen und vielleicht näher kennenzulernen.

«Der einzige Nachteil des Projekts Himmelrich 3 ist der, dass wir noch so lange aufs Zügeln warten müssen.»

Zitat eines Contenti-Bewohners im abl-Magazin 07/2015

Wohntraum ohne Hindernisse

Bericht über die Stiftung Contenti im Himmelrich 3 im abl-Magazin 11/2019

www.contenti.ch

Webseite der Stiftung Contenti

Contenti Wörterbuch (PDF)

Bau- und Projekt-Dokumentation — Contenti Wohnen im Himmelrich 3 von A bis Z

29. August 2021
Daniela Bühler